Warum Life Science Gründer nach einer Übernahme oft überraschend schnell das Unternehmen verlassen – und warum das nicht schlecht sein muß
Jeder von uns kennt es aus seinem professionellen Umfeld oder aus den Medien: ein strategischer Partner übernimmt mehrheitlich ein Pharma-, Biotech-, Medtech- oder HealthIT Unternehmen. Vordergründig scheint sich im Führungsteam wenig zu ändern. Die Firmengründer arbeiten auch nach der Übernahme im Startup Unternehmen weiter. Und lächeln begeistert über die Übernahme in die Kameras.
Sie bleiben entweder Minderheits-Eigentümer, wechseln in Linienfunktionen und/oder sind mit Konsulenten-Verträgen an das Startup gebunden. Viele Verträge sehen eine Mindest-Verbleibsdauer im Unternehmen nach der Übernahme vor. Nur wer bis zum Stichtag bleibt, hat Anspruch auf eine (motivierend hohe) finanzielle Kompensation.
Eine guten Übergabe von den Gründern an den Käufer ist vorteilhaft
Das Ziel des übernehmenden Unternehmens ist klar: die Gründer sollen ihre Markt-Erfahrung und Kunden-Kontakte sowie ihr technologisches Wissen über die Produkt-Entwicklung weiter einbringen. Zu oft steht auch das neue Führungsteam vor der Frage, warum strategische Entscheidungen in der Vergangenheit so getroffen wurden. Das können meist nur die Führungskräfte aus dem Gründungsteam beantworten. Zudem signalisieren die vertrauten Gesichter Kontinuität und Berechenbarkeit gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten.
Für die Gründer bietet dieses Arrangement ebenfalls Vorteile: neben der kurzfristigen finanziellen Absicherung und der Aussicht auf einen finanziellen Bonus nach der Mindest-Verbleibsdauer brennen Gründer oft für ihr Startup. Ihr Unternehmen zu verlassen, kommt vielen wie eine Kindesweglegung vor. Oft sind auch Entwicklungs-, Partnering- und Vertriebs-Projekt mitten in der Umsetzung. Die Gründer wollen noch die Umsetzung vorantreiben – und auch sehen, ob ihre Einschätzung richtig war und die Projekte erfolgreich sind. Oder zumindest aus den Fehlschlägen lernen.
Warum hat die initiale win-win Situation ein Ablaufdatum?
Es klingt wie eine win-win Situation für beide Seiten. Umso mehr überrascht, daß viele Gründer nach spätestens 1-2 Jahren ihr Startup Unternehmen zurücklassen.
Diese Frage beschäftigt mich schon länger: warum passiert das, obwohl es für alle Beteiligten nur Nachteile zu bieten scheint? Und was ist der Preis, den beide Parteien dafür bezahlen?
Neue Interessenslagen 1-2 Jahre nach der Übernahme
Bei näherer Betrachtung klärt sich das Bild. Die Gründer haben sich meist nach 1-2 Jahren an den Gedanken gewöhnt, daß sie das Unternehmen verlassen werden. Die Bonuszahlungen, die an die Mindest-Verbleibsdauer gekoppelt sind, sind bereits abrufbar. Die Projekte, die noch vor der Übernahme gestartet wurden, biegen in die Zielgerade ein (oder wurden vom neuen Eigentümer aus den unterschiedlichsten Gründen gestoppt).
Ähnlich geht es dem neuen Eigentümer: das neue Führungsteam ist eingearbeitet und versteht das Produkt, den Markt und die internen Abläufe inzwischen gut. Auch die Mitarbeiter und Kunden haben sich daran gewöhnt, neue Ansprechpartner zu haben.
Eine neue Führungskultur im Unternehmen
Was aber viel schwerer wiegt: durch den neuen Eigentümer zieht eine neue Führungskultur ein. Große Pharma- und Medtech-Firmen sind intrinsisch risikoavers. Im Zweifel gewinnt die Vermeidung auch geringer Geschäftsrisiken immer gegen die Realisierung neuer Geschäftschancen. Die Abteilungen Qualitäts-Management, Business Compliance, Controlling, interne Revision und die Rechtsabteilung spielen bei etablierten Unternehmen eine dominante Rolle. Wer die Milliarden-USD Strafen der amerikanischen Börsenaufsicht gegen etablierte Unternehmen wegen Compliance-Verstößen verfolgt hat, versteht auch warum.
Für viele Gründer ist das eine unverständliche Welt: wer das ständig mögliche Scheitern seines Startup Projekts wegen des Austrocknens der Finanzierung oder technologischer Barrieren vor Augen hat, sieht Qualitäts-Management und Compliance wesentlich entspannter. Umso mehr irritiert sie, welche große Bedeutung diese Themen plötzlich über Nacht bekommen.
Auch in der Führungskultur finden sie plötzlich eine andere Welt vor: statt rascher und autonomer Entscheidungen zu kritischen Geschäftsfragen im engen Führungskreis ist plötzlich die Abstimmung mit vielen internen Stakeholdern nötig. Die Anzahl der einzubindenden Führungskräfte des neuen Eigentümers ist für viele Gründer überwältigend. Auch die Dauer der Entscheidungsfindung stoßt sie vor den Kopf. Zudem sind formale Führungsstile ihnen oft fremd. Sie sind gewohnt, direkt alle Mitarbeiter anzusprechen, ihre Anliegen zu artikulieren und Arbeitsaufträge zu verteilen. In einer Linienstruktur führt die mangelnde Abstimmung zu Unverständnis und Unmut der jeweiligen Mitarbeiter und Vorgesetzten, zu mehrdeutigen Arbeitsaufträgen und zu suboptimalen Ergebnissen.
Die neuen Eigentümer irritiert dagegen die mangelnde Abstimmung, eine „Ad-hoc-cracy“ und ein wahrgenommener Mangel an strategischem Weitblick.
Es überrascht aus diesen Gründen wenig, daß Gründer oft nach spätestens 1-2 Jahren nach der Übernahme ihr Unternehmen verlassen.
Etwas Neues kommt
Ist das problematisch für eine der beiden beteiligten Parteien? Aus meiner Sicht nicht.
Spätestens nach 1-2 Jahren ist der Wissenstransfer abgeschlossen. Das neue Führungs-Team ist gut genug eingearbeitet, um voll zu übernehmen. Durch das Großunternehmen ziehen neue Strukturen, eine neue Führungskultur und erweiterte Geschäftsmodelle ein. Die Gründer fühlen sich in einer stark strukturierten und reglementierten Umgebung zusehends unwohl und verspüren wieder das Bedürfnis nach dem Kick des Aufbruchs im Rahmen einer Neugründung.
Die Wege der Gründer und der neuen Eigentümer trennen sich. Ein neuer Innovations-Zyklus beginnt. Und das ist gut so.
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